Symphonie Nr. 4 op. 29 – »Das Unauslöschliche« op. 29

Entstehungszeit: 1914-1916

Uraufführung: 1916

Dauer: ca. 40 Minuten

Nielsen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine wichtige Persönlichkeit im Kopenhagener Musikleben, litt ähnlich wie Sibelius darunter, außerhalb seiner Heimat wenig Anerkennung erfahren zu haben. Erst nach seinem Tod änderte sich dies Schritt für Schritt. Und vor allem seine Symphonien wurden in den letzten Jahren überraschenderweise mit zahlreichen CD-Gesamteinspielungen bedacht. Doch woran lag die zwischenzeitliche Vernachlässigung? An Nielsens Desinteresse an zeitgenössischen Entwicklungen? Aus der ausufernden Harmonik seiner Zeit machte er sich nicht viel. Die »Pflege der ersten und grundlegenden Intervalle« war ihm ein Herzensanliegen. Er forderte sich und seine Kollegen auf: »Bis zum Überdruss müssen wir zeigen, dass eine wohlklingende Terz als göttliche Gabe gesehen werden sollte, eine Quart als Erfahrung und eine Quint als die größte Freude.«

Dennoch verstand sich der Kontrapunkt-Meister Nielsen als Anti-Romantiker – »gefällig« lassen sich seine Werke kaum nennen. Und völlig unbeeinflusst von modernen Musikstilen ist beispielsweise seine vierte Symphonie auch nicht. Denn im Wesentlichen sind es äußerst scharfe Kontraste, die dieses Werk ausmachen. Schon im ersten Satz »Allegro« fällt auf, wie schroff Nielsen C- und D-Dur gegeneinanderstellt. Auch scheut er sich nicht, Passagen mit homophonen Klängen und durch die Pauke akzentuierte, nahezu dissonante Abschnitte aufeinandertreffen zu lassen. Doch immer wieder gelangt er – als eine Art Beruhigung – zu wohligen Terzen. Eher ungewöhnlich ist, dass Nielsen in diesem ersten Satz gar vier Themen vorstellt, jedoch nur zwei in die Durchführung übernimmt.

Was folgt, ist ein beinahe spaßiges Scherzo. Doch für Aufsehen sorgte eher der dritte Satz, ein Adagio. Schon oft wurde dieses mit Gustav Mahlers langsamen Symphoniesätzen verglichen. Und es ist anzunehmen, dass Nielsen sich hier tatsächlich auf die einige Jahre zuvor entstandenen Mahler-Arbeiten beruft: Wenn der zweite Satz noch geradezu sanft dahingleitet, bricht der dritte mit den Violinen in hohen Lagen schroff ein. Klagend arbeitet sich die Melodie nach unten und wieder nach oben, während tiefe Streicher im Pizzicato mitsamt der Pauke für eine düstere Begleitung sorgen. Die Parallelen sind deutlich: Wie Mahler in seinen späten Symphonien scheint Nielsen auf die Höhen und Tiefen, auf die Brutalitäten und Triumphe des Lebens zu verweisen. Alles besteht nebeneinander. Keine Freude ohne Leid.

Die wohl bekannteste Passage dieser Symphonie findet sich dann im Schlusssatz, genau wie der erste mit »Allegro« überschrieben. Kurz vor Ende kommt es nämlich zu einem äußerst originellen Pauken-Duell. Die Musikgeschichte kennt kaum eine vergleichbare Komposition: Unterstützt von energischen Streichereinwürfen und fanfarenartigen Blechsignalen treiben sich zwei Pauken gegenseitig an – als zöge das gesamte Orchester in einen Krieg. Und doch sind die folgenden Schlussakte geradezu majestätisch; hier rechtfertigt sich der Beiname der Symphonie: »Das Unauslöschliche«. Das Leben mit all seinen Wechselfällen ist – trotz des Ersten Weltkrieges – nicht unterzukriegen. Als programmatischer Kern dieser ergreifenden Vierten lässt sich also festhalten: Musik ist Leben und unauslöschlich wie dieses. Heute gilt das Werk als ein Meilenstein der skandinavischen Musik.

Carl Nielsen
Carl Nielsen

Historie

24.06.2018 - Unauslöschliches Leben

Andris Poga Dirigent

Werke von Sibelius, Grieg und Nielsen